Aufruf Reclaim your Market

aus Dissent! Network Wiki, der freien Wissensdatenbank

Motto: Reclaim your Market – gegen Ausbeutung, Verdrängung und ökologische Zerstörung/Blockade-Happening

Wann: Montag, 18. August, ab ca. 16 Uhr

Wo: Supermarkt in Hamburg

Was: Globale (soziale) Rechte aneignen: Für globale Bewegungsfreiheit und ein ganz anderes Klima!

Devise: Blockade-Happening - „Reclaim your Market“ ist eine Massenaktion: Mit mehreren Zügen (bzw. Fingern) werden wir am Montag, den 18. August einen exemplarisch ausgesuchten Supermarkt in der Hamburger Innenstadt aufsuchen und belagern (Stichwort: Blockadehappening). Methoden und Taktiken des zivilen Ungehorsams sind uns nicht fremd, uns ist es jedoch wichtig, Auseinandersetzungen mit der Polizei oder irgendjemand sonst zu vermeiden.

Wer: „Reclaim your Market“ ist eine Aktion des Antirassistischen Aktionscamps und des Klimacamps: www.klimacamp08.net – www.camp08.antira.info


Reclaim your Market – worum geht’s?

Rund um den Globus befinden sich Supermärkte auf dem Vormarsch. Bei Lebensmitteln sind es weltweit nur noch dreißig Supermarkt-Ketten, welche ein Drittel des gesamten Handels abwickeln! Garant des Erfolgs sind in erster Linie Dauertiefstpreise – durchgesetzt von global operierenden Konzernen á la Wal-Mart, Tesco oder Metro. Einziger Haken: Die viel gepriesene Billigware gibt es nicht zum Nulltarif. Vielmehr wäre sie ohne systematische Verletzung sozialer Rechte und ohne Zerstörung ökologischer Ressourcen überhaupt nicht möglich. Hier zu Lande sind es vor allem die schikanösen Arbeitsbedingungen bei LIDL oder ALDI, welche in den letzten Jahren für Schlagzeilen gesorgt haben. Auch die regelrechte Hyperausbeutung papierloser ArbeitsmigrantInnen im südeuropäischen Gemüse- und Obstanbau war immer wieder Thema. Nicht weniger dramatisch sind die ökologischen Auswirkungen monokultureller Intensivlandwirtschaft. Denn je größer und somit industrialisierter landwirtschaftliche Betriebe sind, desto umfassender fallen die Schäden an Wasser, Böden und Wäldern aus – mit katastrophalen Konsequenzen unter anderem fürs Klima.

Unsere Aktion zielt auf mehr ab als bloße Information. Wir möchten vielmehr auch zur Kooperation mit all jenen Bewegungen, Initiativen und (Basis-)Gewerkschaften aufrufen, die bereits in konkrete Kämpfe um globale Rechte verwickelt sind. Beispielhaft sei die migrantische LandarbeiterInnengewerkschaft SOC-SAT in Andalusien erwähnt, welche papierlose LandarbeiterInnen sowohl arbeitsrechtlich als auch aufenthaltsrechtlich unterstützt. Oder der europaweite Kampf von LIDL-Angestellten, welche sich für das Recht auf Betriebsräte einsetzen und das mit Protesten gegen systematischen Lohnbetrug und alltäglichen Terror am Arbeitsplatz verbinden. Oder der Widerstand von Hartz IV-EmpfängerInnen, welche zu denjenigen gehören, die finanziell gar keine andere Möglichkeit haben, als in Supermärkten bzw. Billigdisocuntern einzukaufen. Kurzum: Wir möchten die Frage aufwerfen, wie Solidarität entlang der gesamten Produktionskette organisierbar ist, das heißt, wie sich Kleinbauern und -bäuerinnen, migrantische LandarbeiterInnen, TransportarbeiterInnen, Supermarkt-Angestellte und (prekarisierte) KonsumentInnen in ihren Kämpfen um Rechte wechselseitig unterstützen können.

Stichwort Information: Wer mehr über die Arbeits- und Produktionsbedingungen in der Europäischen Landwirtschaft wissen möchte, sei auf eine jüngst erschienene Broschüre verwiesen: „Peripherie & Plastikmeer. Globale Landwirtschaft – Migration - Widerstand“ (112 Seiten). Sie kann unterplastik.meer@reflex.atbestellt werden.


Supermarkt-ABC...

Stichwort Expansion: Seit Ende der 1980er Jahre ist es im gesamten Einzelhandel zur Marktsättigung, ja zu einem handfesten Rückgang der Gewinne gekommen: Einerseits weil durch ungezügeltes Wachstum – insbesondere auf Discounter-Seite – die bereitgestellte Verkaufsfläche zu groß geworden war. Andererseits weil mit der neoliberalen Globalisierung Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit bzw. in schlecht bezahlte Niedriglohnjobs abgedrängt wurden, was unter anderem eine spürbare Verringerung der Massenkaufkraft nach sich gezogen hat. Insgesamt hat dies einen gnadenlosen, bis heute andauernden Konkurrenz- und Verdrängungswettbewerb entfacht, mit Discountern wie Aldi oder Lidl als rabiaten Einpeitschern: Wer zusätzliche Marktanteile erringen wollte, musste fortan seine Mitbewerber im buchstäblichen Sinne aus dem Rennen werfen. Durch das WTO-Dienstleistungsabkommen GATS und die EU-Osterweiterung ist die Situation Mitte der 1990er Jahre vollends eskaliert. Denn die großen Einzelhändler sind nunmehr auch international gegeneinander antreten. Der derzeit zweitgrößte Supermarktkonzern – das französische Unternehmen Carrefour – ist zum Beispiel mit 12.000 Geschäften in 29 Ländern vertreten, sein im Ausland erzielter Umsatz beträgt 53%. Am rasantesten ist das Supermarktwachstum bis heute in Osteuropa und Lateinamerika, und auch Asien kann sich dem Sog bereits seit Jahren nicht mehr entziehen. Lediglich in Afrika spielen Supermärkte eine überwiegend marginale Rolle – dennoch sollten erste Expansionsbestrebungen durch Supermarkt-Ketten aus Südafrika und Kenia nicht unterschätzt werden.

Stichwort Verdrängung: Die Kehrseite von Expansion und Konzentration sind massive Verdrängungsprozesse. Für einen Arbeitsplatz bei Lidl fallen etwa drei Arbeitsplätze im übrigen Einzelhandel weg. Das ist nicht nur arbeitsmarktpolitisch ein Problem, jedenfalls vor dem Hintergrund anhaltender Massenarbeitslosigkeit. Vielmehr kommt es auch zur Verödung ganzer Stadtteile oder Dörfer und somit zur Zerstörung von Nachbarschaftsnetzwerken – einschließlich des Wegfalls wohnortnaher Versorgungsmöglichkeiten. Noch zugespitzter ist die Situation in den armen Ländern: In Vietnam ersetzt zum Beispiel eine Arbeitskraft im Supermarkt 4 bis 5 Klein- bzw. StraßenhändlerInnen. Dramatisch ist das vor allem deshalb, weil der Kleinhandel für unzählige Menschen im globalen Süden die mehr oder weniger einzige Überlebensnische ist.

Stichwort Preisdiktate: Ihre gigantische Größe versetzt Supermarkt-Ketten immer stärker in die Lage, mittels Preisdiktaten Druck auf ihre Zulieferer auszuüben. Viel beachtetes Beispiel ist etwa der agrarindustrielle Obst- und Gemüseanbau in Südspanien, einem der wichtigsten Versorger deutscher Supermarkt-Ketten. 96 Prozent der mehr als 100.000 LandarbeiterInnen sind MigrantInnen aus osteuropäischen, lateinamerikanischen und afrikanischen Ländern. Die Mehrheit von ihnen hat keine Papiere, das ist der Grund, weshalb spanische Landwirte den Preisdruck der Supermarkt-Ketten vergleichsweise einfach abpuffern können: Für einen zehnstündigen Arbeitstag erhalten migrantische TagelöhnerInnen durchschnittlich 20-30 Euro. Arbeitsschutz – Stichwort Pestizide – existiert kaum. Wer meckert, fliegt raus. Letzteres ist beispielsweise marrokanischen ArbeiterInnen passiert: Nachdem sie sich organisiert und grundlegende Rechte eingefordert hatten, wurden sie seit 2000 zunehmend durch SaisonarbeiterInnen aus Osteuropa ersetzt. Ein anderes Beispiel ist die Situation bei Südfrüchten: Anlässlich eines zwischen mehreren englischen Supermarkt-Ketten ausgefochtenen Preiskrieges um Bananen sind zum Beispiel in Costa Rica die Tageslöhne auf Bananenplantagen von 12-15 Pfund im Jahr 2000 auf 7-8 Pfund drei Jahre später gesunken. Hierzulande hat in jüngerer Zeit vor allem der Streik der Milchbauern und -bäuerinnen für Furore gesorgt. Ausgangspunkt waren gleichfalls Preisdiktate, erwähnt sei nur, dass 50 Prozent der Milch in Deutschland von Aldi und Lidl verkauft werden! Im Übrigen hat der Kostendruck in der Milchwirtschaft schon seit langem zu einer bizarren Industrialisierung der Kuhställe geführt. Während 1960 eine Kuh in Deutschland durchschnittlich 3406 Liter Milch abgegeben hat, sind heute 9000 bis 9500 Liter keine Seltenheit mehr. Im gleichen Zeitraum hat sich die Lebenszeit der mit Medikamenten und Kunstfutter vollgestopften Hochleistungsviecher von 15 auf 4 Jahre reduziert.

Stichworte Qualitätsstandards: Supermarkt-Ketten geben nicht nur Preise vor, sie bestimmen auch Produktions- und Lieferkonditionen – insbesondere Qualitätsvorgaben (z.B. Geruch, Farbe und Größe der Früchte), Produktions- und Verpackungsstandards (computerlesbare Etiketten) sowie Mindestliefermengen (da sich die Abnahme ansonsten ökonomisch nicht rechnet). Bitter ist das in erster Linie für Kleinbauern und -bäuerinnen, denn sie können die Auflagen oftmals nicht erfüllen. Auf diese Weise sind nicht nur in Osteuropa mehrere hundertausend Bauernhöfe seit Mitte der 1990er Jahre aus den Lieferketten der Supermärkte „ausgelistet“ worden – zugunsten agrarindustreller Großbetriebe. Auch im Süden des Globus ist es diesbezüglich zu extremen Verdrängungseffekten gekommen, einfach deshalb, weil die lokalen Supermärkte die in den reichen Industrieländern entstandenen Normen und Standards Schritt für Schritt übernommen haben.

Stichwort Zerstörung ökologischer Ressourcen: Supermärkte sind Paten der Umweltzerstörung. Erstens indem sie die herrschende Form der industrialisierten und somit klimaschädlichen Landwirtschaft vorantreiben (siehe unten); zweitens indem sie dem Verpackungs- und Tiefkühlwahnsinn offensiv Vorschub leisten (etwa durch die Bereitstellung tiefgefrorener Spiegeleier); drittens indem sie die permanente Verfügbarkeit von Obst und Gemüse – egal wann und woher – reibungslos gewährleisten und viertens indem sie durch ihre Standort- und Parkplatzpolitik den Einkauf mittels Auto in den vergangenen Jahrzehnten massiv gefördert, bisweilen erzwungen haben.

Stichwort Arbeitsbedingungen: Es war keineswegs Zufall, dass sich ver.di vor einigen Jahren mit Lidl einen klassischen Discounter als Kampagnengegner vorgeknöpft hat. Denn der Lohndruck, die Gewerkschaftsfeindlichkeit, das Arbeitstempo, der Überwachungsgrad etc. sind bei Lidl, Aldi & Co. in der Tat größer als in anderen Unternehmen. Erkennbar ist das auch an einer simplen Zahl: Während die Personalkosten bei Supermärkten wie zum Beispiel „Extra“ 14,4 Prozent der Gesamtkosen ausmachen, sind es bei Discountern gerade mal 6,7 Prozent. Und doch: All dies sollte nicht den Umstand vernebeln, dass der Einzelhandel insgesamt (ob bei Penny, Saturn oder H&M) einer jener Sektoren ist, in dem die Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse am weitesten vorangeschritten ist (Stichwort: Prekarisierung).

Alte Widersprüche – neue Bündnisse...

Die kritische Auseinandersetzung mit Supermärkten ruft unweigerlich altbekannte Fragestellungen auf den Plan – etwa Debatten um Bedürfnisse, um Chancen und Begrenzungen von „Fair Trade“ oder um die Frage, wer es sich überhaupt leisten kann, derlei Gedanken zu machen (geschweige denn „fair“ und biologisch einzukaufen). In unseren Augen sind diese Fragestellungen allesamt notwendig und legitim, sie sollten allerdings nicht gegensätzlich diskutiert werden. Vielmehr begreifen wir Supermärkte als einen Kristallisationspunkt (selbstredend nicht den einzigen), an dem Gewerkschaften, soziale Bewegungen, NGO etc. von unterschiedlichen Blickwinkeln aus aktiv werden können.


Supermärkte, Landwirtschaft & Klimawandel

Die Geschäftspolitik von Supermärkten ist einer von mehreren Gründen, weshalb überall auf der Welt agrarindustrielle Großbetriebe Kleinbauern und -bäuerinnen verdrängen – allein in Deutschland machen 5 Prozent der Höfe jährlich dicht. Das ist nicht nur ein soziales Desaster, auch die ökologischen Konsequenzen sind katastrophal: Rund ein Drittel aller Treibhausgase entstammen landwirtschaftlicher Produktion, nicht zuletzt der Massentierhaltung. Oder zugespitzter: Klimakiller Nr. 1 ist die (agrarindustrielle) Landwirtschaft – noch vor der Energiewirtschaft, deren Emissionen mit etwa 26 Prozent zum Klimawandel beitragen. In der öffentlichen Debatte fällt dieser Umstand meist unter den Tisch, es liegt deshalb nahe, die wichtigsten Zusammenhänge zu skizzieren:

Stichwort Stickstoffdünger: Monokulturelle Intensivlandwirtschaft laugt die Böden massiv aus, sie wäre deshalb ohne industriell produzierten Stickstoffdünger überhaupt nicht möglich. Einziger Haken: Eine angemessene Dosierung der Stickstoffdünger ist in der Praxis ausgesprochen schwierig, zumal obendrein erhebliche Mengen Gülle aus der Massentierhaltung auf den Äckern landen. Ist der Boden aber überdüngt (und das ist in der Intensivlandwirtschaft der Normalzustand), können die Pflanzen den Stickstoff nicht mehr vollständig aufnehmen. Stattdessen wird der Stickstoffüberschuss in Gestalt des klimaschädlichen Lachgases in die Atmosphäre abgegeben, hinzu kommt außerdem eine beträchtliche Nitratbelastung des Grundwassers. Und noch etwas: Die Herstellung von Stickstoffdünger verschlingt jährlich 90 Millionen Tonnen Erdöl bzw. Erdgas. Die so erzeugte CO2-Menge macht ca. 1,6 Prozent aller Treibhausgase aus.

Stichwort Pestizide: Düngerbasierte Monokulturen und Hochleistungssaatgut sind äußerst krankheits- bzw. schädlingsanfällig, sie sind also auf den Einsatz von Pestiziden dringend angewiesen. Diese sind jedoch nicht nur für die Bodenbeschaffenheit und die Artenvielfalt, sondern auch für den Menschen hochgradig schädlich: So sterben laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO jährlich etwa 250.000 Menschen an den Folgen einer Pestizidvergiftung – bei etwa 3 Millionen Neuerkrankungen.

Stichwort Humusabbau: Ökologisch bewirtschaftete Ackerböden haben einen höheren Humusanteil als konventionell bearbeitete Flächen. Sie können hierdurch 12-15 Prozent mehr Kohlenstoff im Boden binden. Pro Hektar und Jahr entspricht das einer Menge von 575-700 Kilogramm Kohlendioxid, welches in den Boden zurückgeführt wird und somit nicht mehr als klimaschädliches Treibhausgas in die Atmosphäre gelangt (ExpertInnen sprechen in diesem Zusammenhang von „Kohlenstoffsenke“). Im Übrigen ist das einer der zentralen Gründe, weshalb die Umwandlung von (Regen-)Wäldern in Ackerland überaus schädlich ist: Einerseits weil auf diese Weise die (Regen-)Wälder nicht mehr als „Auffangbecken“ für Kohlendioxid zur Verfügung stehen, andererseits weil durch die Zerstörung der humushaltigen (Regen-)Waldböden massenhaft Kohlenstoff und somit Kohlendioxid freigesetzt wird.

Stichwort künstliche Bewässerung: Intensivlandwirtschaft und künstliche Bewässerung gehören zusammen. Erwähnt sei nur, dass 72 Prozent des weltweiten Wasserverbrauchs in der Landwirtschaft stattfindet. Das aber führt nicht nur zur Absenkung des Grundwasserspiegels, vielmehr kommt es auch zur großflächigen Boden-Versalzung. Beispielsweise hat Syrien auf diese Weise bereits 35 Prozent seiner landwirtschaftlichen Nutzfläche verloren.

Stichwort Viehhaltung: Bis zu 80 Prozent der klimaschädlichen Treibhausgase in der Landwirtschaft haben direkt oder indirekt mit Massentierhaltung zu tun: Durch Darmgase von Kühen und Schafen (Methan), durch Jauchegruben (Lachgas) und durch zusätzliches Ackerland für den Anbau von Futtermitteln (Kohlendioxid).

Stichwort Biodiversität: Arten- und Pflanzenvielfalt ist absolut elementar, nicht zuletzt für die Aufrechterhaltung einer stabilen Nahrungsmittelproduktion. Allein: Durch agrarindustrielle Produktionsmethoden – wozu auch gentechnisch verändertes Saatgut gehört – kommt es bereits seit Jahrzehnten zu einer radikalen und unwiderbringlichen Zerstörung der Arten- und Pflanzenvielfalt.

Insgesamt folgt hieraus, dass wir uns für eine ökologische und somit klimafreundliche Landwirtschaft stark machen. In diesem Sinne möchten wir auch zur Teilnahme an der Aktion gegen die derzeit größte Biodiesel-Raffinerie Europas aufrufen. Sie steht im Hamburger Hafen, wird von dem Agromulti ADM betrieben und verarbeitet Gensoja aus Südamerika und Palmöl von den gerodeten Urwaldflächen Indonesiens. Die Aktion findet am Dienstag, den 19. August ab 11 Uhr statt.

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